GEG-Schrott
Über die moderne Wegwerfgesellachaft

Es kommt zwar selten vor, aber manchmal finde ich in all dem Wohlstandsmüll ein Stück, das etwas Besonderes ist. Ein heraus ragendes Ereignis war die Entdeckung meiner Lautsprecherboxen.

Ein Schatz im Elektroschrott

Es war ein Donnerstag Anfang Mai 2020. Wie jeden Donnerstag, wurden auch an diesem Tag am Vormittag schon die Geräte für den Verkauf zusammen gestellt und vor dem Eingang aufgebaut. Während der Rauchpause sah ich in einer der Gitterboxen ein unscheinbares, stark verstaubtes Paar kleiner Lautsprecherboxen, das meine Aufmerksamkeit erregte.

Ich weiß seit einiger Zeit, dass sich teure, handgefertigte Lautsprecher in einigen Details von der Massenware unterscheiden. So war es auch bei diesen Boxen. Die Anschlussklemmen sind direkt mit der Rückwand verschraubt und nicht in einer Schale, die die Anschlüsse beherbergt. Ein großer Aufkleber auf der Rückwand trägt eine handgeschriebene SeriennummerEine handgeschriebene Seriennummer ist ein Indiz für echte Handarbeit. Im Gegensatz zur Massenware hat sich hier ein Mensch die Mühe gemacht, ein Produkt von einmaliger Qualität zu fertigen... Als Verkaufspreis stand 8 Euro drauf (Der Kollege, der diesen Preis festgelegt hatte, wollte wohl in der Hektik nicht im Internet nachsehen, was das für Boxen sind). Vor Jahren hatte ich ein Paar Studiomonitore von NADNew Acoustic Dimension besessen, einer englischen Edelschmiede, hauptsächlich für Verstärker und Lautsprecher. Diese Boxen hatten die Anschlüsse auch direkt in der Rückwand.

Ich dachte mir, dass diese Kleinen vielleicht was für unseren Ebay-Shop wären, merkte mir Namen und Typenbezeichnung und ging an meinen Rechner, um nachzuschauen, was die Lautsprecher wohl wert sind. Als ich die Preise sah, traf mich fast der Schlag. Der Neupreis liegt um die 4500 Euro, gebraucht gibt es sie nicht unter 600 Euro – wohl bemerkt, dass es sich um kleine Regalboxen der 5-Liter-Klasse handelt.

Ich holte mir die Boxen an meinen Prüfplatz und schloss sie an, um zu hören, ob sie noch funktionierten. Was ich zu hören bekam, erfüllte mich sofort mit einem euphorischen Gefühl!
Ich hatte bis dahin genau ein Mal im Leben Lautsprecher mit einem ähnlich überragenden Klangbild gehört, und das waren mannshohe Kästen. Ich genoss diesen ungewohnt klaren Sound einige Minuten lang und verliebte mich unsterblich.
Nachdem ich eine halbe Stunde mit der intensiven Reinigung verbracht hatte, hörte ich sie mir noch einmal an. Wieder bemerkte ich die unglaubliche Authentizität und beschloss, mir diese Lautsprecher selbst zu kaufen. Ich hätte ohne mit der Wimper zu zucken 150, notfalls aber auch 300 Euro bezahlt. Beim Reinigen wollte ich eine verbogene Anschlussklemme gerade biegen, doch dabei brach sie ab.

Am Nachmittag erzählte ich meinem Chef Stefan von meinem Fund und was er wert ist. Dann führte ich ihm den Klang vor und auch er war begeistert. Ich sagte ihm, dass ich mich verliebt hatte und er schloss daraus, dass ich sie wohl selbst haben wollte. Ich bejahte und fragte, was ich dafür zahlen sollte. Ich hätte ohne mit der Wimper zu zucken 200 oder auch 300 Euro dafür bezahlt, aber Stefan überlegte kurz und meinte: Wenn du sie nicht gesehen hättest, wären sie für 8 Euro weg gewesen. — Weißt du was? Zahl' fünf Euro.

In Gedanken umarmte ich ihn, bedankte mich überschwänglich und bezahlte. Weil die Boxen klein und nicht besonders schwer sind, habe ich sie gleich mit nach Hause genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, dass ich echte Klassiker der absoluten Spitzenklasse »gewonnen« hatte. – Der Name dieser kleinen Wunderwerke: Rogers LS3/5A.

»Amtliche Sache«
Beschreibung der Lautsprecher

Von Rogers hatte ich bis dato nie zuvor gehört. Nach einiger Recherche fand ich heraus, dass dieses Lautsprechermodell von insgesamt elf Herstellern in Lizenz gefertigt wurde. Lizenzgeber ist die British Broadcasting Company (BBC). Ich erfuhr, dass die BBC für den Einsatz in Übertragungswagen sehr kompakte Lautsprecher brauchte, mit denen die klangliche Qualität der laufenden Sendungen kontrolliert werden kann. Sie sollten genau so klingen wie die »großen« Studiomonitre LS5/9.

BBC ist nicht irgendein bedeutungsloser Provinzsender, sondern eine der größten Rundfunkanstalten der Welt, in der Komplexität des Verwaltungsapparats durchaus mit einer Behörde wie der NASA oder Scotland Yard vergleichbar. Bei der BBC muss jedes Betriebsmittel von BBC geprüft und zertifiziert sein und es gibt Pläne und Spezifikationen zu jedem Teil, so auch zu den LS3/5A. Man kann das vergleichen mit den Vorgaben der Deutschen Bundespost für Telefonapparate, als die Post noch unter staatlicher Kontrolle stand. Man hatte die Spezifikazionen zu Lizenzbedingungen gemacht und den Bau Herstellern wie SELStandard Elektrik Lorenz AG; übernahm 1961 den Hersteller Graetz KG und aus ihr ging die Marke ITT Schaub Lorenz hervor, T&NTelefonbau & Normalzeit GmbH, später Telenorma in Kooperation mit AEG und Bosch und Siemens überlassen.

Die BBC unterhält weltweit mehrere Dutzend Übertragungswagen und die mussten alle mit diesen Monitorlautsprechern ausgestattet werden. Da die BBC keine Produktionsstätten unterhält, hat sie die genauen Spezifikationen wie Abmessungen und Bestückung, sowie Schalldruck und Frequenzgang usw. festgelegt und für die Herstellung lizenzierte Manufakturen beauftragt. Die Entwicklungskosten waren unanständig hoch: Die BBC hatte damals (1969) 100.000 Pfund investiert; das entspräche heute etwa 2.000.000 Euro.

Schnell wurden diese kompakten Monitore bei den Mitarbeitern der BBC beliebt, und bald wollten viele ein Paar davon für zu Hause haben. Die Lizenzhersteller wurden mehr und so wurden von 1967 bis 2007 mehr als 60.000 Paare hergestellt. — Der Clou dabei: Es handelt sich zwar um aufeinander abgestimmte Paare von Boxen, aber man kann jede Box mit jeder anderen beliebig zusammen betreiben und es wird sich immer gleich anhören, selbst wenn die einzelnen Boxen von unterschiedlichen Herstellern stammen. So etwas gibt es nur bei der BBC.

Bei meinen Rogers LS3/5a aus der ersten Baureihe (15 Ω) befindet sich auf der Rückwand ein sehr großes Label, auf dem zu lesen ist, dass es sich um einen unter Lizenz der BBC gefertigten Lautsprecher handelt, der gemäß der Vorgaben der BBC getestet wurde. Darunter das Feld mit der handgeschriebenen Seriennummer SO18458A (linke Box) und SO18458B (rechte Box).

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